von September 18, 2012 0 Kommentare Mehr →

Der japanische Arzt

Flattr this!

Der japanische Augenarzt Tadashi Hattori rettete bereits hunderte Vietnamesen vor dem Erblinden – aus Menschlichkeit. Er gab dafür ein geregeltes Leben und Karriere auf.

Tadashi Hattori macht das, was eigentlich normal sein sollte, aber nicht ist: Er ist Arzt und hilft Menschen, und zwar nicht denen, die am besten bezahlen, sondern denen, die ihn am dringendsten brauchen. Seit zehn Jahren verbringt der japanische Augenspezialist mehr als ein Drittel des Jahres in Vietnam, um dort armen Patienten das Augenlicht zu retten – oft unbezahlt und nicht selten sogar auf eigene Kosten.

tadashihattori

Bildquelle: Facebook

Dabei ist Hattori selbst nicht reich. Er hat die Chance auf eine Karriere an einer Uni oder in einem Krankenhaus in seiner Heimat sausen lassen, um sein humanitäres Projekt voranzutreiben. Auf einer Konfernz war er 2002 einem vietnamesischen Arzt begegnet, der ihm eindringlich schilderte, dass Leute dort reihenweise erblinden, weil sie keine Hilfe bekommen. Er bat Hattori darum, das Land zu besuchen und den dortigen Kollegen seine Fähigkeiten beizubringen. Sein japanischer Chef stellte den jungen Arzt vor die Wahl: Entweder Sie bleiben, oder Sie verlieren ihren Job hier unwiederbringlich. Nachdem er mit seiner Frau beraten hatte, fuhr Hattori nach Hanoi. Dort stellte er fest, dass es allein an vielen medizinischen Geräten mangelte, die in Japan selbstverständlich waren. Zunächst bekam er keinerlei Unterstützung in Japan, weder von Firmen, die er um Equipment bat, noch Fördergelder, die er bei der Regierung beantragte. Schließlich nahm er das eigene Ersparte, eigentlich für den Hausbau gedacht, und investierte es in die benötigten Spezialgeräte.

Heute hat er, nachdem er zunächst arbeitslos war, zumindest die Möglichkeit, Teilzeit in verschiedenen Krankenhäusern in ganz Japan verstreut zu arbeiten, um seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, wenn er zu Hause ist. Das klappt nur, weil Medizinfirmen und Kollegen, die seine Arbeit schätzen, ihm helfen. Zudem hat Hattori keinen Tag frei. Auch muss er eher in abgelegene Gegenden fahren, denn in seiner Heimatstadt Osaka und auch in Tokio ist der Markt voll.

Durch Berichte über seine Arbeit in Vietnam wurden offizielle Stellen in Japan auf die Situation dort aufmerksam, so dass der japanische Staat einigen von Hattroris Arbeitsplätzen in Hanoi, wie dem Nationalen Institut für Augenheilkunde und dem Hai Phong Augenzentrum, über Entwicklungshilfegelder eine bessere Ausstattung finanzierte. 2005 bekam er sogar einen Dankesbrief des damaligen Außenministers Nobutaka Machimura, der nicht nur seine fachliche Arbeit anerkannte, sondern die Tatsache, dass er so auch einen entscheidenden Beitrag zur Völkerverständigung zwischen den beiden Ländern leiste. Hattori selbst war aufgefallen, dass er für seine Patienten nie Doktor Hattori war, sondern nur der „japanische Arzt“, also mit seiner Arbeit stellvertretend für sein Land steht.

Fast jeden Monat fährt Hattori für ein, zwei Wochen nach Vietnam – für ein paar Tage nach Hanoi und dann in die ländlichen Gegenden, bis zu sieben Stunden mit dem Auto von der Hauptstadt entfernt. Neben der Sprachbarriere, die besonders am Anfang bestand, sei das größte Problem, dass die Vietnamesen aufgrund der Armut und der schlechten Infrastruktur erst zu ihm bzw. den lokalen Ärzten kämen, wenn sie kurz davor sind, das Augenlicht ganz zu verlieren, während in Japan die Menschen schon im Frühstadium der Erkrankung einen Arzt aufsuchen, wo man noch besser helfen kann. Inzwischen konnte Hattori mehrere junge einheimische Nachfolger/innen ausbilden, so dass er selbst seine Stunden ein wenig reduzieren konnte – seiner eigenen Gesundheit wegen. Dafür betreibt er zusätzlich die 2005 gegründete NGO Asia Prevention of Blindness Association ebenso wie eine Website über die Arbeit fast allein. Auch der ganzen Papierkram, den er anstrengender findet als das Operieren, bleibt an ihm hängen. Er bekommt sporadisch Hilfe und Spenden, aber kann sich darauf nicht verlassen.

Er wünscht sich, dass junge Ärzt/innen seinem Vorbild folgen. Dass das nicht geschieht, findet er erklärlich: Man muss sehr viel aufgeben, im Prinzip sein ganzes „normales“ bürgerliches Leben über den Haufen werfen – auf ein hohes Gehalt verzichten, auch auf die Zugehörigkeit zu einem Krankenhaus oder einer Universität, die im japanischen System auch nach der Pensionierung die zentralen Bezugspunkte im sozialen Netzwerk bleiben. Für viele Menschen, besonders Ärzt/innen, sei auch in Japan Status und Geld alles, meint Hattori.

Er selber hatte von seinem Vater gelernt, dass man „für die Menschen“ arbeiten soll. Nachdem dieser an Magenkrebs gestorben war, weckte das bei seinem Sohn, damals ein Teenager, den Wunsch, Arzt zu werden. Er hatte auch erlebt, wie herzlos sein Vater behandelt wurde, und machte sich das Credo eines Lehrers zu eigen, die Patienten wie die eigenen Eltern zu behandeln. Statt Gastroenterologe wurde er Augenarzt und nach ersten Anstellungen in Kyoto und Osaka kam es zu seiner schicksalhaften Begegnung mit dem vietnamesischen Kollegen. Schon vorher hatte ihn gestört, wie selbstbezogen viele seiner Professoren waren. Hattori, inzwischen Ende 40, bereut seine Entscheidung trotz aller Schwierigkeiten nicht. Er empfindet sein Tun als erfüllend: „Es gibt nichts Besseres, als Menschen zu helfen und sie glücklich zu sehen,“ sagte er der Japan Times.

Wer Tadashi Hattori unterstützen möchte, kann ihn über seine Facebook-Seite erreichen. Er kann Englisch und freut sich über jegliche Hilfe für sein Projekt. Die Seite der Asia Prevention of Blindness Association gibt es derzeit nur auf Japanisch.

Nach einem Bericht in der Japan Times


(Dieser Artikel erschien zuerst am 08.09.2012 in der Freitag-Community).

Der Artikel ist gut!
Posted in: Asien, Porträt, Soziales

Kommentar posten